„Wollen die Staffel zurück“: 3 Weltrekorde beim Para Leichtathletik Heimspiel
Das Para Leichtathletik Heimspiel des TSV Bayer 04 Leverkusen ist auch in der dritten Auflage seinem Ruf als Rekordschmiede treu geblieben. Die Weltrekorde für die 4x100-Meter-Staffel der deutschen Sprinter mit Amputation und der niederländischen Frauen sowie der Niederländerin Fleur Jong über 100 Meter waren nur drei der hochklassigen Leistungen, die im Manforter Stadion gezeigt wurden.
Fast musste man befürchten, dass es der Rückenwind in diesem Jahr zu gut meinte mit den paralympischen Sprinterinnen und Sprintern in Leverkusen. Reihenweise hagelte es Bestzeiten in den Vorläufen, oft war aber die Windunterstützung zu stark. Ein kleiner Auszug: Der Ex-Leverkusener Felix Streng, der mittlerweile in London trainiert, sprintete mit 10,56 Sekunden schneller als je zuvor. Johannes Floors lieferte flotte 10,68 Sekunden ab und Phil Grolla lief mit 10,87 Sekunden zum dritten Mal in der Saison unter elf Sekunden – aber wieder war der Rückenwind zu stark für eine Anerkennung der Bestzeit. Dem Wolfsburger gelang es dann im Finale, die magische Marke zu knacken: Mit 10,88 Sekunden lief er deutschen Rekord bei den armamputierten Sprintern. 100-Meter-Paralympics-Sieger Streng gelang mit 10,69 Sekunden die schnellste Zeit des Tages, Floors ließ es über 200 Meter mit 20,79 Sekunden krachen – nur eine Zehntel langsamer als sein Fabel-Weltrekord zwei Wochen zuvor in Regensburg.
Dabei profitierte der 400-Meter-Paralympics-Sieger auch von einem umkämpften Duell mit Jonas Klein, dem NRW-Landestrainer der Para Leichtathletik. Der Leverkusener Sprinter lief selbst 100 und 200 Meter und coachte gleichzeitig seine Athletinnen und Athleten – ein Mammutprogramm. Was aus den schnellen Zeiten klar wurde: Nie stand die Chance für einen Weltrekordversuch mit der 4x100-Meter-Staffel besser. Denn das Quartett aus Startläufer Grolla, Floors an der zweiten Position und Schlussläufer Streng wurde von Weitsprung-Weltrekordhalter Markus Rehm komplettiert, der auf herausragende 8,49 Meter flog. „Direkt vom Weitsprung bin ich zur Staffel. Wir haben das vor einigen Jahren zum letzten Mal gemacht und hatten genau so viel Spaß wie damals“, sagte Rehm. 2015 und 2017 war die deutsche Staffel Weltmeister, 2016 Paralympics-Sieger und 2018 Europameister – doch mit dem Event bei der Heim-EM in Berlin wurde die Staffel letztmals gelaufen.
„Deutliches Zeichen ans IPC“
Dass sich die Staffel lohnt, wurde dann zum Abschluss des Para Leichtathletik Heimspiels deutlich: Die mehr als 500 Zuschauerinnen und Zuschauer blickten gespannt auf die Rundbahn und als die Zielzeit bei 40,52 Sekunden stehen blieb, brandete Jubel auf. 40,73 Sekunden war der nie erreichte Weltrekord der USA von der WM in Lyon 2013, nun war die reaktivierte Staffel ohne großes Training vorher 21 Hundertstelsekunden schneller gesprintet. „Dass so eine Zeit rauskommt, haben wir gehofft, aber dass es echt so kommt, ist umso schöner“, schwärmte Rehm und Streng, der in Leverkusen ausgebildet wurde und jetzt für das Sprint-Team Wetzlar startet, ergänzte: „Ich glaube, wir wollen alle die Staffel wieder zurück haben. Wir lieben sie alle. Hoffentlich war das ein Zeichen ans IPC, dass wir in Paris die Staffel vielleicht wieder im Programm haben.“
Dieses Zeichen wurde auch von der weiblichen Konkurrenz unterstrichen: Das niederländische Team Para Atletiek lief mit Kiki Hendriks, 100-Meter-Weltrekordhalterin Fleur Jong, Doppel-Paralympics-Siegerin Marlene van Gansewinkel und Speerwerferin Noelle Roorda erstmals die Staffel und verbesserte in 51,92 Sekunden auf Anhieb den Weltrekord. „Das zeigt die guten Konditionen, die wir jedes Jahr beim Heimspiel haben“, sagte Johannes Floors zur Rekordflut, denn schon vorher hatte Fleur Jong in 12,46 Sekunden den Weltrekord bei den Sprinterinnen mit zwei Unterschenkel-Prothesen verbessert. Im Finale hatte sie sogar sensationelle 12,29 Sekunden nachgelegt – allerdings mit zu viel Rückenwind. Auch van Gansewinkel und Kimberly Alkemade, eine weitere Niederländerin, waren über 200 Meter in Weltrekordnähe gesprintet.
Tolle Leistungen der Einheimischen
Stark präsentierten sich beim Para Leichtathletik Heimspiel auch die heimischen Athletinnen und Athleten des TSV Bayer 04 Leverkusen – allen voran Doppel-Weltmeisterin Irmgard Bensusan. Die sprintete erst 12,81 Sekunden mit zu viel Rückenwind über 100 Meter und bestätigte diese gute Leistung im Finale mit 12,93 Sekunden. Dann lief sie die 400 Meter in flotten 60,57 Sekunden – der zweitschnellsten Zeit, die jemals in ihrer Klasse gelaufen wurde. Die ehemalige FSJlerin Pia Stemski hatte ihrer Mitbewohnerin Nele Moos und Bensusan Tempo gemacht, für Moos sprang dabei eine deutliche persönliche Bestzeit von 62,20 Sekunden heraus, nachdem sie schon mit 13,49 Sekunden über 100 Meter und zu viel Rückenwind ihre starke Form angedeutet hatte. In ihrem Windschatten und mit Unterstützung von Jonas Klein unterbot auch Franziska Dziallas im gleichen 400-Meter-Rennen ihren deutschen Rekord auf 65,92 Sekunden.
Zuvor war Maria Tietze in 13,40 Sekunden deutschen Rekord gesprintet, Moritz Hoffmann in 13,01 Sekunden zur Bestzeit und Noah Bodelier zeigte sich mit 12,00 Sekunden ebenfalls stark – in seinem Lauf war die Windunterstützung jedoch zu groß. Für Kim Vaske gab es über 100 Meter mit 13,90 Sekunden eine Saisonbestleistung, für Merve Petruck im Weitsprung mit 4,09 Metern ebenfalls. Comebacker Moritz Raykowski, der momentan in London trainiert, gefiel bei der Rückkehr mit 58,10 Sekunden über 400 Meter ebenso wie Speerwerferin Lise Petersen mit guten 33,61 Metern und Tom Sengua Malutedi mit 52,15 Metern.
Rehm springt am Samstag noch auf 8,31 Meter
In der Weitsprung-Grube sprang der Grieche Stylianos Malakopoulos mit 6,99 Metern nur fünf Zentimeter kürzer als seine Weltrekord-Weite bei den beidseitig unterschenkelamputierten Athleten. Der Däne Daniel Wagner flog auf gute 6,91 Meter, konnte den Weltrekord des verletzten Léon Schäfers aber nicht gefährden. Hinter ihm hatte Philipp Waßenberg einen soliden Wettkampf gezeigt, am Samstag beim BRSNW-Jugend-Cup wollte der ehemalige Junioren-Weltmeister vom TSV Bayer 04 Leverkusen nach seiner fünfjährigen Auszeit noch mal beweisen, wie weit er springen kann und landete bei der Saisonbestweite von 5,81 Metern. Ansonsten freuten sich die Schweizerin Elena Kratter mit 5,06 Metern und die junge Cottbuserin Frederike Brose mit 4,33 Metern über Bestweiten. Den Samstag mit vielen tollen Leistungen der Para Kids rundete dann die Japanerin Sae Tsuji ab, die in 59,78 Sekunden im Einlagelauf den Asien-Rekord in ihrer Startklasse verbesserte.
Nur einem blieb ein großes Ziel verwehrt: Markus Rehm wollte es am Samstag noch mal wissen und nutzte die guten Bedingungen, um den Weltrekord anzugreifen. Mit tollen 8,31 Metern schaffte er das nicht ganz, sendete zum Beginn der Saisonpause aber direkt eine Kampfansage: „Dann mache ich das eben nächstes Jahr – ich bin noch nicht fertig.“ Und mit dem Erfolg in der Staffel nahm Rehm ja sogar einen Weltrekord vom Wochenende mit, der ihm selbst noch nicht gehörte.
Para Leichtathletik Heimspiel 2023 am 2. Juni
So waren nach zwei ereignisreichen Tagen alle zufrieden – allen voran Parasport-Geschäftsführer Jörg Frischmann, der mit seinem Team Großes geleistet hatte. „Wir hatten erstmals über 500 Zuschauerinnen und Zuschauer hier, hatten dank unserer tollen Zusammenarbeit mit Bayer 04 Leverkusen Fußball einen Livestream, durch den viele Menschen zuhause unser Sportfest verfolgen konnten. Und ich freue mich neben den tollen Leistungen auch, dass so viel Sport-Prominenz aus NRW den Weg hierher gefunden hat und von allen das Feedback nur positiv war.“
Im kommenden Jahr sollen dann – wenn es nach Frischmann geht – die Startfelder noch besser werden. „Quantitativ kommen wir langsam an unsere Grenzen, aber die Qualität wollen wir noch steigern. Wir haben schon allen kommuniziert, dass wir uns am 2. Juni 2023 zum Heimspiel wiedersehen. Für die Deutschen wird es die letzte Möglichkeit sein, Qualifikations-Normen für die WM in Paris zu unterbieten und da in der Woche zuvor der Grand Prix in Nottwil ist, hoffen wir, dass viele Top-Leute danach direkt den Weg aus der Schweiz zu uns finden.“