Bayer-Athleten räumen bei EM ab: "Platz 10 im Nationenranking"
Sechs Mal Gold, fünf Mal Silber und ein Mal Bronze – das ist die beeindruckende Bilanz der Para-Leichtathleten des TSV Bayer 04 Leverkusen bei den Europameisterschaften im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark.
Drei Gold- und eine Silbermedaille gab es jeweils für Felix Streng und Johannes Floors, zwei Goldmedaillen für Markus Rehm, zwei Mal Silber für Irmgard Bensusan, ein Mal für Heinrich Popow und Bronze für EM-Debütant Johannes Bessell. Im Medaillenranking der Nationen hätten die Leverkusener Rang zehn belegt, insgesamt gewannen sie mehr als ein Viertel der deutschen Medaillen.
Es war ein schönes Bild zum Ende der Heim-EM: Felix Streng wartete im Zielbereich und als Johannes Floors über 400 Meter Gold holte, lief er zu ihm und umarmte ihn. „Auch wenn wir Konkurrenten sind, sind wir immer noch Teamkollegen“, sagte Floors später in der Mixed Zone. Mit 47,93 Sekunden hatte er über sieben Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten, „die Zeit ist zweitrangig, weil ich gefühlt nur Gegenwind hatte.“
40 Minuten vorher war er im Sprintduell mit Felix Streng Zweiter geworden und hatte Silber bekommen. 11,44 Sekunden waren für den starken Gegenwind eine gute Zeit, doch Streng war mit 11,23 Sekunden schneller. „Den Titel wollte ich, die 100 Meter gehören mir, sie bedeuten mir viel – und das ist mein erster großer Titel auf der Strecke“, sagte Streng.
Über 200 Meter hatten beide jeweils in ihrer Klasse gewonnen: Streng, der von Hans-Jörg Thomaskamp trainiert wird, bei den einseitig Unterschenkelamputierten, Floors, der bei Stefan Press trainiert, bei den beidseitigen. Zusammen mit Markus Rehm und Phil Grolla vom VfB Fallersleben war wie bei der WM und den Paralympics auch noch die 4x100-Meter-Staffel goldträchtig, Streng sprang zudem im Weitsprung zur Silbermedaille.
Dort jubelte ein weiterer Leverkusener: Markus Rehm. Wenige Tage nach seinem 30. Geburtstag war die große Frage, ob der Athlet von Steffi Nerius erneut seinen Weltrekord verbessern kann. Nachdem Streng bereits im ersten Versuch seine persönliche Bestleistung mit 7,49 Meter übertroffen hatte, sprang er im zweiten Versuch sogar 7,71 Meter. Allerdings verschenkte der 23-Jährige dabei am Brett noch viel, so dass immer spannend war, ob er nicht auch noch über acht Meter kommen könnte. Rehm hatte in seinem ersten Sprung 7,75 Meter vorgelegt, bevor er sich im dritten auf 8,00 Meter absetzte. Nach 8,02 Meter und 8,11 Meter sowie Strengs letztem Sprung war klar, dass Rehm Europameister ist. Angetrieben vom rhythmischen Klatschen der 5000 Zuschauer legte er alle Kraft in den Absprung, flog und landete bei 8,48 Meter – Weltrekord. Ein Zentimeter mehr als noch Anfang Juli in Japan.
„Ich bin mit dem Anlauf nicht zurechtgekommen, der Wind war ziemlich ordentlich. Erst den letzten Sprung habe ich richtig getroffen. Dass es auch der Weltrekord ist, freut mich umso mehr", sagte Rehm, der die Sandgrube fast gänzlich ausnutzte. Streng sagte: „Ich war jetzt näher an Markus dran. Der Wettkampf kommt, in dem wir ganz dicht beieinander sein werden. Mir fehlt einfach das Sprunggefühl, aber daran wollen wir arbeiten. Momentan komme ich einfach mit viel Tempo an und nutze das aus."
Einen emotionalen Höhepunkt hatte es schon am Dienstag gegeben, als Heinrich Popow in seinem letzten Wettkampf Silber gewonnen hatte. Von Mittwoch bis Freitag brachte er dann für Ottobock Amputierten das Rennen mit einer Sportprothese bei, Running Clinics heißt das Projekt, es ist sein Baby. Als Berater für die japanische Leichtathletik-Nationalmannschaft in Richtung Tokio 2020 wird er dem Sport verbunden bleiben – und wer gesehen hat, wie er bei den anderen Leverkusenern mitgegangen ist und mitgefiebert hat, kann sich Bayer ohne Popow nicht vorstellen.
Gleich doppelt Silber gab es für Irmgard Bensusan über 100 und 200 Meter, was für die 400-Meter-Weltmeisterin von London alles andere als zufriedenstellend war, zumal Doppel-Europameisterin Marlene van Gansewinkel im vergangenen Jahr einen beeindruckenden Leistungssprung gemacht hat: „Ich weiß nicht, wie sie das gemacht hat – und auch nicht, wie hart ich denn noch trainieren soll, um Gold zu gewinnen.“ Nach ihrem Wettkampf flog sie dann zu ihrer Familie nach Südafrika, um sich von der kräftezehrenden Saison zu erholen.
Bronze gewann EM-Debütant Johannes Bessell schon am ersten Tag, es war die erste deutsche Medaille, nachdem der Mittelstreckler von Sara Grädtke über 1500 Meter ein taktisch kluges Rennen sicher auf dem Bronzerang ins Ziel gebracht hatte. Maria Tietze jubelte nach dem 200-Meter-Lauf am lautesten, obwohl sie keine Medaille gewonnen hatte: In 29,88 Sekunden war sie erstmals unter 30 Sekunden geblieben, mit 14,40 Sekunden über 100 Meter und 4,55 Metern im Weitsprung stellte sie bei allen drei Starts Bestleistungen auf. Moritz Raykowski gehörte dem Junior-Team von Helena Pietsch an und sammelte über 400 Meter Erfahrung und Motivation, die er auf dem Weg in Richtung Tokio nutzen möchte.
Als es in der offiziellen Abschlusspressekonferenz um das Thema Parasport-Nachwuchs in Deutschland ging, sagte Bundestrainer Willi Gernemann: „Wir wären nicht da, wo wir jetzt sind, wenn es Bayer Leverkusen nicht gäbe. Wenn wir drei oder vier solcher Zentren in Deutschland hätten, gäbe es keine Nachwuchssorgen.“
Parasport-Geschäftsführer Jörg Frischmann war in jedem Fall „rundum zufrieden mit der Meisterschaft. Berlin ist bekannt dafür, dass selten Bestleistungen fallen, umso beeindruckender und höher sind unsere Ergebnisse einzuschätzen.“
Im kommenden Jahr sind die Weltmeisterschaften in Dubai im November das Highlight für die Leichtathleten, bevor Ende August 2020 die Paralympics in Tokio starten.
Die Medaillen:
- Gold: Markus Rehm (Weitsprung), Markus Rehm, Johannes Floors und Felix Streng (4x100-Meter-Staffel), Johannes Floors (200 Meter, 400 Meter), Felix Streng (100 Meter, 200 Meter)
- Silber: Johannes Floors (100 Meter), Irmgard Bensusan (100 Meter, 200 Meter), Felix Streng (200 Meter), Heinrich Popow (Weitsprung)
- Bronze: Johannes Bessell (1500 Meter)