„Du hast doch bis Tokio gesagt“
Im Interview: Karl-Heinz Düe trainiert beim TSV Bayer 04 Leverkusen die erfolgreiche Para Leichtathletik-Gruppe mit David Behre, Irmgard Bensusan, Johannes Floors, Léon Schäfer und Felix Streng.
Wie verbringst du momentan deine Tage?
Ich glaube, ich arbeite jetzt mehr als sonst. Ich bin nur noch am Telefon. Trainingspläne erstellen, das durchgeführte Training besprechen, Termine bei Ärzten koordinieren. Ich habe jetzt die Eckdaten, dass die Paralympics ein Jahr später sein sollen – aber wie soll es weitergehen? Die Situation ist für alle nicht prima. Nachdem die Spiele verschoben sind, ist die ganze Sache ein bisschen entspannter. Bis zu dem Zeitpunkt hat man probiert, ernsthaft zu trainieren, weil man ja auch fit sein wollte. Es ist einfach so, dass alle Sportler für diese Welt-Pandemie ihren Obolus ableisten und das Training furchtbar einschränken müssen. Solange wir nicht krank sind, ist alles noch bestens. Ich glaube, dass wir in Deutschland auf einem hohen Niveau jammern. In Italien oder Spanien ist es viel schlimmer.
Was hast Du deinen Athletinnen und Athleten gesagt, wie sie sich fit halten sollen?
Mehr oder weniger versuchen wir, diesen Plan, den wir sonst die ganze Woche durchgeführt haben, mit ähnlichen Übungen und Aufgaben zu machen. Wir sind ja nicht im eigentlichen April-Modus, weil im Mai keine Wettkämpfe sind, wir sind eher im Wintertraining. Wir machen also Skippings auf dem Teppich oder Kniehebelauf um den Tisch.
Was sind Probleme der Parasportler? Kann man mit Prothesen auf Waldboden oder auf der Straße sprinten?
Die können aufgrund ihrer Behinderung nicht überall laufen. Felix hat Bergabläufe und Treppenläufe in Köln gemacht, das geht natürlich. Aber auch er hat massive Probleme, weil er ja nicht mit seiner Spikesfeder laufen kann. Er muss da einen Gummischutz drunter machen und dadurch ist er zwei oder drei Zentimeter höher. Das heißt, es kommt zu Disbalancen in der Schulter und im Rücken. David, der doppelamputiert ist und Vorschäden in den Knien hat, der kann gar nicht laufen draußen. Das ist schon ein ganz großes Problem. Die Nichtbehinderten können genug reduziert trainieren – im Wald, im Park, auf Rasen – das geht bei den Behinderten nicht, schon gar nicht auf Rasen, weil der uneben ist.
Welches Training kann man gut kompensieren, was lässt sich nicht ersetzen?
Kraft- und Sprungtraining lassen sich nicht ersetzen. Weitsprung mit Léon, das kannst Du vergessen. Johannes kann natürlich Kilometer schrubben. Aber auch das ist ein Problem: Da ist ihm unterwegs die Prothese verrutscht, dann musste er weiterlaufen. Die Folge ist, dass er jetzt eine Blase hat. Ich kann ihn auch nicht zwei Mal am Tag in den Park schicken, das machen seine Stümpfe nicht mit.
Ich denke aber auch, jeder von uns muss jetzt wahnsinnig oder erheblich zurückschalten und den Stellenwert des Sportes hinten anstellen. Es geht jetzt um unsere Gesundheit und um unsere Arbeitsplätze. Was danach dann kommt, die Folgen, wenn wir wieder in die Normalität kommen, das können wir noch gar nicht alles voraussehen.
Ist das mental mit die schwierigste Situation in deiner Trainerkarriere?
Das ist ganz sicherlich eine der schwierigsten Situationen für alle Trainer, weil niemand weiß, was da noch kommt und wann es wieder losgeht. Wie lange kann ich die Athleten noch bei der Stange halten? Die sagen: Du schickst mir jeden Tag das Programm und ich soll das alleine ohne Partner abspulen. Gut, zu zweit wäre erlaubt, aber Léon und Johannes können nicht zusammen trainieren, der eine läuft viel länger, der andere muss mehr springen. Das ist nicht so einfach, die zu motivieren.
Hast Du von den Athleten ein Signal bekommen, dass sich jetzt jemand erstmal auf etwas anderes fokussieren will oder machen alle bis 2021 weiter?
Ich habe mit jedem telefoniert und besprochen, dass man sich jetzt erstmal fit hält. Wenn dann mal die Freundin Geburtstag hat und man einen Tag nicht trainiert, dann ist das auch okay. Ich würde die Athleten am liebsten zwei Monate in den Urlaub schicken, aber die Hotels sind alle zu. Die haben ja auch kein Semester, weil sie ein Urlaubssemester genommen haben. Die haben ja nichts zu tun. Wenn ich denen jetzt kein Programm gebe, dann fällt denen die Bude auf den Kopf. Was ja auch für einen wie Johannes kreislaufmäßig nicht gesund ist, wenn er keine Läufe macht. Wenn du komplett drei, vier Monate Pause machen würdest – dann kommen manche nicht mehr zurück, das garantiere ich dir.
Ist das bei Athleten, die eine Prothese haben, noch mal ein Unterschied, weil sich der Stumpf verändert, wenn sie nichts machen?
Léon hat nach der WM in Dubai ja Pause gemacht. Im Januar hatte er nur Probleme mit seinem Stumpf, weil der sich wieder an die Rennprothese gewöhnen musste. Da fehlt dann die Belastung. Du nimmst dann ein Kilo zu oder ab, dann gibt es da echt Probleme. Das dauert vier oder fünf Wochen, bis der Stumpf sich an die Belastung und den Schaft gewöhnt hat.
Hast Du schon positive Schimmer entdeckt oder siehst Du auch Vorteile, die sich durch die Verschiebung ergeben?
Für mich sicher nicht, weil ich eigentlich auch zu Hause bei meiner Frau versprochen hatte, nur bis Tokio 2020 zu machen. Jetzt habe ich dummerweise nur bis Tokio gesagt, jetzt kommen die Athleten und sagen – du lachst schon – Tokio ist doch erst nächstes Jahr, du hast doch gesagt bis Tokio. Man steht im Wort und hat ja auch eine Verantwortung. Das ist eine schwierige Situation, wie man sich jetzt verhält. Man wird nicht jünger. Du bist noch voll im Adrenalin und sagst: Tokio wird verschoben, mache ich ein Jahr länger. Aber so einfach ist das in der Realität nicht. Ich meine, für mich ist Sport immer noch die schönste Nebensache der Welt, auch wenn es mein Beruf war.
Kann man - falls es zu einer Wettkampfphase Ende des Jahres kommen sollte – überhaupt noch gute Ergebnisse erwarten?
Kann ich mir nicht vorstellen. Die ganze Saison war ja so ausgelegt, dass du in Tokio die beste Leistung bringst. Ich hab denen schon gesagt: Erwartet keine Topleistungen, wir machen dann nur mal wieder einen Wettkampf, um einen Startschuss zu hören und zu hören, wie ein Startkommando geht.
Was wäre deine Wunschvorstellung - nach der Corona-Pandemie - für 2021?
Die Wunschvorstellung wäre, dass man zwei bis drei Monate richtig trainieren und zwei, drei Wettkämpfe machen kann, dann Urlaub und dann bereitet man sich auf die neue Saison 2021 vor. Das wäre das Ideal, aber ich glaube, das bleibt ein Traum. Der Weg zurück, das wird ein sehr komplizierter. Ob wir dann noch so viel an Sport denken können, weiß ich nicht – lassen wir uns überraschen, wie es wird.
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