Markus Rehm mit neuem Trainer in Amsterdam: „9 Meter ganz konkret angreifen“
Mit dem WM-Sieg und dem „Thank you, Steffi“-Stirnband verabschiedete Markus Rehm in Neu–Delhi seine langjährige Trainerin Steffi Nerius. Seit Anfang November arbeitet der Weitsprung-Weltrekordhalter mit dem Niederländer Guido Bonsen in Amsterdam, bleibt dem TSV Bayer 04 und Leverkusen aber erhalten.
Seit 2011 unbesiegt, 17 internationale Goldmedaillen – die Bilanz von Weitspringer Markus Rehm und seiner Trainerin Steffi Nerius ist einzigartig. Nach der Para Leichtathletik-WM in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi endete Anfang Oktober 2025 ihre Zusammenarbeit, weil die Speerwurf-Weltmeisterin von 2009 sich künftig einem weiteren Herzensprojekt widmen wird: dem Aufbau eines Vollzeit-Sportinternats beim TSV Bayer 04 Leverkusen.
„Sie hat eh schon länger gemacht, als wir ausgemacht hatten und war immer ehrlich zu mir“, sagt Rehm: „Ohne Steffi wäre ich nicht da, wo ich bin, ich wäre nicht der Mensch und nicht der Athlet. Da wollte ich auch fair sein und nicht versuchen, sie zu überreden.“ So kam es, dass der Weitsprung-Weltrekordhalter erstmals in seiner Karriere auf Trainersuche gehen musste – Angebote hatte es in all den Jahren nie gegeben. Aus gutem Grund: „Steffi und ich haben immer klar ausgestrahlt, dass wir ein Team sind, das nicht auseinandergeht. Wir haben vieles richtig gemacht. Das ist schon heftig: 15 Jahre immer fit zu sein und Titel zu holen – das spricht schon sehr für die Trainerin.“
Nun musste also jemand Neues her und der Favorit war direkt klar: Guido Bonsen sollte Rehms neuer Coach werden, Erfolgstrainer des niederländischen Team Para Atletiek in Amsterdam. „Ich kenne Guido schon ewig und wir hatten immer einen guten Kontakt“, sagt Rehm und fügt hinzu: „Er hat mich auch bei Wettkämpfen schon gecoacht, wenn Steffi nicht dabei war – unter anderem bei meinem Weltrekord von 8,64 Metern in Barcelona. Er hat einen interessanten Ansatz, etwas anders als der, den wir bisher gefahren sind. Sowohl seine Art der Arbeit als auch seine Erfahrungen im paralympischen Sport haben mir in unseren Gesprächen super gefallen. Jetzt habe ich einfach richtig Lust, neue Wege zu gehen, spannenden Input zu bekommen und vor allem nochmal richtig starke Weiten anzugreifen.“
Für Bonsen war vor allem wichtig, dass Nerius mit dem Wechsel einverstanden ist: „Es war immer ein offener Austausch und sehr respektvoll – so wie es eben sein sollte.“ Trotz des regelmäßigen Austauschs hätte der Niederländer sich niemals vorstellen können, dass sich diese Situation ergeben würde – „ich freue mich riesig, mit so einem großartigen Sportler wie Markus zu arbeiten.“ Die Übergabe der Coaches fand schon bei der WM in Neu-Delhi statt. Als Bonsen Nerius fragte, ob er etwas beachten müsse, antwortete sie ihm: „Der Markus respektiert dich total und weiß, was du mit deinen Athletinnen und Athleten schon erreicht hast. Er trainiert das erste Mal bei einem Mann und insofern ändert sich schon sehr viel und er ist motiviert und hat Bock, einfach noch mal weit zu springen. Da muss ich ihm nicht viel mitgeben.“
In der Praxis sieht das seit Anfang November so aus, dass Rehm am Sonntag die wichtigen Trainingseinheiten in Amsterdam mitnimmt, einmal übernachtet, am Montag noch mal dort trainiert und schwerpunktmäßig weiter in Leverkusen arbeitet. Dort wird er mit Sprint-Trainer Jannik Engel die ein oder andere Sprint-Einheit mitmachen: „Das hat im vergangenen Jahr schon super funktioniert. Die Trainingspläne und Saisonplanung kommen von Guido, aber wenn Jannik seine Expertise im Sprint einbringt, könnte das so richtig spannend werden.“ Ob er dann wieder über 100 Meter startet? „Auf gar keinen Fall!“, sagt der 37-Jährige und lacht: „Wenn wir an der Geschwindigkeit was machen könnten, wäre das stark. Ich lasse es auf mich zukommen. Guido hat mehr Geschwindigkeitsfokus, da kann ich mir sehr gut vorstellen, dass mich das weiterbringt.“
Bonsen trainiert unter anderem Fleur Jong, Weltrekordhalterin bei den unterschenkelamputierten Frauen im Weitsprung und über 100 Meter, F46-Speerwurf-Weltmeisterin Noëlle Roorda sowie olympische Athletinnen und Athleten. Bei der Para Leichtathletik-WM in Indien landete die Niederlande mit acht Goldmedaillen auf Rang vier im Medaillenspiegel. „Das ist wild. So ein kleines Land. Das spricht sehr für ihn“, schwärmt Rehm: „Wenn wir über Prothesen sprechen, sind wir auf einer Wellenlänge. Er hat viel Erfahrung mit Prothesen und umgekehrt glaube ich auch, dass ich der Trainingsgruppe was zurückgeben kann, sodass es vielleicht für beide Seiten spannend ist.“ Dennoch sagt der Bladejumper: „Der Aufwand wird größer und alles andere wäre sicherlich praktischer gewesen. Aber manchmal muss man sich auf sein Bauchgefühl verlassen.“
Was treibt ihn noch an, nachdem er seit 2009 alles gewonnen hat? „Ich mache es in erster Linie einfach noch gerne“, sagt Rehm, der vor seinem ersten Weltrekord noch eine Sechs vor dem Komma stehen hatte und jetzt bei 8,72 Metern angekommen ist: „Wenn ich keine Lust mehr aufs Training hätte, wäre der Zeitpunkt, wo ich aufhören muss. Ich denke: Mein Körper wird mich schon wissen lassen, wenn es nicht mehr geht. Wir haben dieses Jahr unfassbare Weiten in die Grube gesetzt aus kurzem Anlauf, das hat mich motiviert. Selbst die Jahre mit Weltrekord haben wir dieses Jahr eingestellt oder übertroffen. Irgendwann habe ich meine Effizienz bei den Sprüngen verloren. Aber das packt mich und ich frage mich: Wie weit kann es gehen, wenn es perfekt läuft? Wenn ich noch mal so einen Sprung habe wie die 8,72 Meter? So lange ich Gefühl habe, dass es weitergehen kann, habe ich Spaß. Irgendwas sagt mir, da könnte noch was gehen.“
Die magischen neun Meter – weiter springen als alle olympischen Athleten – sind immer noch ein Thema. „Das ist der Traum. Viele behaupten, das sei unrealistisch und sie haben vielleicht recht. Aber Träume dürfen auch mal unrealistisch sein. Wenn es nicht funktioniert, möchte ich zumindest sagen können, dass ich es versucht habe.“ Helfen könnte ihm dabei auch, dass in Fleur Jong die beste weibliche Para Weitspringerin künftig mit ihm in einer Trainingsgruppe ist: „Sie hat eine entspannte, leichte Art abzuspringen. Vielleicht kann ich mir da was abgucken und umgekehrt. Wenn das ganze Know-How zusammenkommt, dann kann da was Großes entstehen.“
Da ist sich auch Bonsen sicher, wenngleich er sagt: „Am Anfang wird es ein herausfordernder, aber spannender Weg sein, den wir gemeinsam gehen werden. Wir müssen es schaffen, Markus und die Art und Weise, wie er und Steffi seine unglaubliche Karriere aufgebaut haben, zu respektieren und gleichzeitig zu sehen, was ich Neues beitragen kann, um weitere Fortschritte zu erzielen. Sowohl Markus als auch ich sind immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen und motiviert, Grenzen zu überschreiten. Ich freue mich darauf, mit ihm zusammenzuarbeiten und zu sehen, was möglich ist. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Saison alle überraschen können – auch uns selbst.“